Aloe vera: Das junge Mädchen (Sanskrit: Kumari)

Viele Pflanzennamen im Ayurveda deuten auf deren Hauptwirkungsweise hin. Aloe vera beispielsweise heißt im Sanskrit Kumari.

In der indischen Mythologie ist Kumari das Mädchen, das gerade beginnt, seine weibliche Reife zu erlangen. Diese Veränderung setzt sichtbar mit der Brustbildung und der Menstruation ein, die anfangs meist nicht regelmäßig und oft von Schmierblutungen oder Schmerzen begleitet ist; manchmal kann sich die erste Blutung sogar um Jahre verzögern. Die Pflanze Aloe vera kann das reifende Mädchen bei diesem Prozess unterstützen. Sie fördert die Menstruation selbst und kann helfen, bei verzögertem Einsetzen der Menarche zur ersten Blutung zu führen.

Wenn die erste Blutung eingesetzt hat, wird noch heute auf Sri Lanka und in Teilen von Indien ein Fest gefeiert. Das Mädchen, das dann Pushpini (übersetzt soviel wie: das Mädchen ist in ihrer Blüte) genannt wird, wird mit Blumen geschmückt und festlich gekleidet. Enge Freunde und Verwandte kommen und nehmen an dem Initiationsritual teil, das ein Priester durchführt: die Pushpini wird mit Milch übergossen. Diese symbolisiert eine gute Ernährung aller Körpergewebe, einschließlich dessen, das für die Fortpflanzung verantwortlich ist. Damit wird gefeiert, dass das Mädchen die Geschlechtsreife erlangt hat und nun eine neue Lebensstufe für es beginnt.

Aloe vera Botanik:

Aloe barbadensis

Sanskrit:

Kumari, Kanya, Ghritakumarika, Grhakanya

Verwendung:

Kumari wirkt leicht abführend, hat eine kalte Potenz, ist bitter, gut für die Augen (Sicht), wirkt verjüngend, süß, ernährend, kräftigend, Aphrodisiaka, besänftigt Vata und Gift, heilt Tumore im Unterleib, bei einer Vergrößerung der Milz und der Leber, Fieber, Tumore, Verbrennungen, kleine Pockenblasen, Erkrankungen von Pitta, Rakta (Blut) und der Haut. (Quelle: Bhavaprakasa, ayurvedischer Text aus dem 16. Jh.) 

Die Haut als Reinigungsorgan

Der Körper nimmt verschiedene Möglichkeiten wahr, sich selbst zu reinigen. Auch die Menstruationsblutung ist ein Reinigungsprozess und entspricht einer monatlichen Erneuerung des „Bettes“, in dem ein „Kind“ schlafen kann. In der Phase der Adoleszenz steigt das Pitta im Körper an – der feurige Lebensabschnitt beginnt. Hierunter ist u. a. die gesteigerte Produktion von Hormonen zu verstehen, die wiederum frei im Blut zirkulieren. Wenn die erste Blutung nicht eintritt oder die Menstruation unregelmäßig ist, dann versucht der Körper, das vermehrte und gleichzeitig angestaute Pitta über einen anderen Weg zu entsorgen – meistens über das Entgiftungsorgan Haut.

Im Ayurveda sieht man einen direkten Zusammenhang von Blut und Haut. Ist das Blut rein, so spiegelt das die Haut wieder und umgekehrt: je unreiner das Blut, umso unreiner wird auch die Haut. So kann dies zu Pickeln bis hin zur Akne führen. Neben der Menstruationsförderung kann Aloe vera also auch bei Hautleiden eingesetzt werden. Die Inhaltsstoffe der Pflanze können sowohl durch innerliche Einnahme Hauterkrankungen heilen als auch durch äußerliche Anwendung - wie zum Beispiel bei Verbrennungen (oder auch Sonnenbrand).

Achtung: Aloe Vera sollte wegen seiner starken reinigenden Wirkung auf den Unterleib nicht während der Schwangerschaft eingenommen werden, da es sonst zu einem Abbruch führen könnte.

Die drei Körperfunktionen

Vata ist verantwortlich für das Bewegungsprinzip. In diesem Zusammenhang stehen vor allem diejenigen Bewegungen, die nach unten gerichtet sind: Stuhlgang, Urinieren, Menstruation.

Pitta ist verantwortlich für die Funktion der Wärme und Transformation. Überall, wo das Feuer im Körper sichtbar ist, hat Pitta seinen Anteil: im Blut, in den Hormonen und dem Menstruationsblut.

Kapha ist die Funktion der Struktur und Stabilität. Bei Menstruationsbeschwerden sind daher meistens Vata und / oder Pitta erhöht. Ausnahme: Bei Myomen und Zysten, hier ist neben Vata auch Kapha betroffen.

Anwendungsbeispiele für Aloe Vera im Ayurveda

Amenorrhoe oder unregelmäßige Periode:

10 ml frisch gepresster Saft aus den fleischigen Blättern mit einem halben Teelöffel Kurkuma gemischt auf nüchternen Magen, einmal täglich.

Gleiche Anwendungsweise bei unreiner Haut oder Akne in Verbindung mit der Menstruation

Verbrennungen:

Die fleischigen Blätter direkt auf Verbrennungen auftragen.

Wunden:

10 ml Frischpresssaft mit einem Teelöffel Kurkuma

Psyche und Körper

Eine Therapie auf der körperlichen Ebene stößt auch unmittelbar eine geistige Entwicklung an – vorausgesetzt, es liegt eine Bereitschaft dafür vor.

Die Behandlung von körperlichen Beschwerden kann sowohl auf der körperlichen als auch auf der psychischen Ebene durchgeführt werden. Sie ist im Ayurveda individuell differenziert. Der Mensch wird mit der Gesamtheit aller körperlichen (und psychischen) Symptome betrachtet; hiernach richtet sich die Behandlung.

Grundsätzlich gilt: Wenn sich auf der körperlichen Seite Beschwerden lösen, ist es auch leichter, auf der psychischen Ebene etwas zu verändern  - und umgekehrt.

Da Körper und Psyche als untrennbare Einheit betrachtet werden sollten, lohnt sich auch bei Menstruationsbeschwerden ein Blick hinter die körperliche „Kulisse“: Das Mädchen ist zwar noch nicht ganz Frau, aber auch kein Kind mehr. Es ist auf der Suche nach sich selbst. Es durchläuft eine wichtige Lebensphase der Veränderung, in der es Unterstützung und Orientierung von außen braucht und behutsam an das Frausein herangeführt werden sollte.

Wenn die eigene Mutter ein ermutigendes Vorbild ist und ein gesundes Frausein vorlebt, kann das Mädchen leichter in seine Weiblichkeit hineinwachsen. Lebt die Mutter keine Autonomie vor, wird es auch das Mädchen schwerer haben - sowohl auf der psychischen als auch auf der körperlichen Ebene.

Letzteres kann sich durch Beschwerden bei der Menstruation zeigen: Unregelmäßigkeiten, Schmierblutungen, Krämpfe, Kopfschmerzen, Myome, PMS …, die sich viele Jahre durch das Leben ziehen können.

Für viele Frauen sind Menstruationsbeschwerden zwar normal; für mich bedeuten sie Rufe des Körpers, etwas zu verändern. Ein „gesundes Frau - Sein“ und „die eigene Weiblichkeit ausleben“ beinhaltet auch, bei sich zu sein und nicht nur, wie es in vielen Kulturen (auch unserer) für andere da zu sein.

Frau - Sein heißt auch: sich selbst Raum geben, die eigene innere Stimme hören, seiner Intuition vertrauen, sie äußern und entsprechend handeln.

Westlicher und östlicher Blickwinkel

Die Natur und die Erde sind sowohl in der östlichen wie auch in der westlichen Betrachtungsweise weiblich. Überall in der Welt werden mit „Mutter Erde“ Geduld und Fruchtbarkeit assoziiert. Nichts in der Welt ist in Anbetracht unserer Umgangsweise mit ihr so geduldig wie Mutter Erde. Frau-Sein heißt also auch: geduldig sein.

Gleichzeitig finden wir Unterschiede in den Betrachtungsweisen der Weiblichkeit von Ost und West. Aus dem westlichen Blickwinkel heraus werden viele wichtige Frauenfiguren vor allem gemäß dem Vorbild der Gottesmutter Maria beschrieben: sanftmütig und geduldig. Andere Aspekte, die auf mehr Autonomie hinweisen, werden abgewertet und die Frau z. B. als Hure, Hexe oder Verführerin dargestellt.

Aus dem östlichen Blickwinkel heraus betrachtet beinhaltet das Frau-Sein drei Aspekte, die in Form von Götterstatuen dargestellt werden und die uns an bestimmte Fähigkeiten erinnern sollen:

  • Geben: Dieser Aspekt der Frau wird durch die Göttin Lakshmi symbolisiert: sie steht für Reichtum. Geld fließt aus ihren Händen. Hiermit ist auch die gebende Natur der Frau im Allgemeinen gemeint.
  • Intuition: Dieser Aspekt wird durch Saraswathi dargestellt. Sie hat ein Musikinstrument, die Vina, in der Hand - ein Symbol für den inneren Klang oder für die innere Stimme. In einer anderen Hand hält sie ein Buch – ein Symbol für Weisheit, unser tiefes inneres Wissen. Häufig ist dies unter Glaubenssätzen wie: „Das gehört sich nicht für eine Frau.“ verschüttet.
  • Stärke: Dieser Aspekt wird durch Durga dargestellt. Fast alle Tempel in Indien, die einer Göttin gewidmet sind, sind Tempel der Durga. Sie sitzt auf einem Raubtier und hat Waffen in der Hand. Es gilt, sich der eigenen Kraft bewusst zu sein und auch das innewohnende Aggressionspotenzial zu nutzen - z.B. bei der Überwindung von Ungerechtigkeit und Unterdrückung oder bei dem Voranbringen von Vorhaben. Dafür ist es notwendig, die entsprechenden Mittel einzusetzen und nicht zu warten, bis alles eines Tages von alleine vorbei geht oder besser wird.

Fazit

Im Vergleich von westlichen und östlichen Betrachtungsweisen der Frau findet man im Osten zwei Aspekte, um die das Frausein dort erweitert wird: das innere Wissen (Intuition) und die innere Stärke. Dieses sind sehr wichtige weibliche Eigenschaften – und alle Menschen, gleichgültig ob im Osten oder im Westen, sollten diese wieder mehr in ihr Leben integrieren.

Frauen werden durch das Auftreten von Menstruationsbeschwerden auf dieses Thema aufmerksam gemacht, so dass sie im Bewusstsein über deren Bedeutung wieder lernen, ihre eigene Kraft zu erkennen und darauf zu vertrauen.